2 | Lesespuren: Leserpsychologie, Textverstehensforschung und Literaturpolitologie
Lesespuren zählen seit jeher zu den großen Themen des DLA. Sie finden sich an unterschiedlichen Orten im Archiv: in den Autorenbibliotheken, in Korrespondenzen von Autoren und in den Museen, wo man eben nicht nur betrachtet, sondern auch liest. Wir wollen den Lesespuren künftig genauer nachgehen und bedienen uns dazu zum einen Ansätzen der Leserpsychologie und Textverstehensforschung, die wir in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien Tübingen weiterentwickeln.
Im Rahmen eines vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg geförderten Projekts hat das DLA gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien (Universität Tübingen) im letzten Jahr eine LeseApp entwickelt, die – als Begleitung auch zum Gang durch unsere Museen – einen Kanon literarischer Text in deutscher Sprache zur Verfügung stellt und es ermöglicht, das eigene Leseverhalten zu erforschen. Die gemeinsam vom Deutschen Literaturarchiv Marbach und dem Leibniz-Institut für Wissensmedien Tübingen realisierte App ›literaturlesen‹ erlaubt neue Perspektiven auf Fragen des analogen und digitalen Lesens, der ästhetischen Wirkung von Literatur und der Leseförderung.
Diese Forschungsfragen werden auch Gegenstand der Jahrestagung der American Friends of Marbach sein, die unter dem Titel ›The Persistence of Reading in a Digital Age‹ im Juni 2022 in Marbach stattfinden wird.
Das Projekt ›Literatur im Systemwechsel‹, seit 2019 vom Auswärtigen Amt gefördert und Ende des letzten Jahres zu Ende geführt, erprobte einen literaturpolitologischen Ansatz: Nach erfolgreichen Workshops zur Struktur und Wahrnehmung von Literatur in politischen Wandlungsprozessen nach 1945 kooperieren wir auch dieses Jahr weiterhin mit Germanistinnen und Germanisten aus dem asiatischen und postsowjetischen Raum. Das DLA plant für die erste Jahreshälfte gemeinsam mit Kolleg/-innen in Ostasien eine virtuelle Diskussionsreihe, die die Vernetzungen deutscher und ostasiatischer Literatur und Literaturwissenschaft aus den Archiven zum Gegenstand hat. Das Gespräch wird weitere Impulse für den internationalen Austausch über Literatur im Wechsel der Sprachen und Systeme setzen.
Ferner werden zwei weitere Tagungen im Frühjahr die Werke zwei sehr unterschiedliche Autor/-innen in ein neues Licht rücken: Am 24.3. und 25.3.2022 wird die Tagung ›Michael Ende: Poetik und Positionierungen‹ sich der Werkpoetik Endes widmen, v.a. unter zwei Gesichtspunkte, erstens eine genauere Betrachtung seiner kunsttheoretischen Schriften, zweitens eine kritische Auseinandersetzung mit Endes Bemühungen während seiner gesamten Schriftsellertätigkeit um die ›Anerkennung‹ des literarischen und intellektuellen Feldes der Bundesrepublik. Die Tagung ›Text und Engagement. Das literarische Werk Juli Zehs‹ (28. bis 29. August 2022) wiederum nimmt sich das facettenreiche Werk dieser Autorin vor, die in sich zwei öffentliche Rollen verbindet: diejenige der Schriftstellerin und diejenige der Juristin. Aus der Verbindung beider Rollen speist sich ihre starke Stimme, mit der sie juristische, politische und soziale Themen verhandelt. Ihr Werk lässt so wichtige Rückschlüsse auf die Frage zu, welche Rolle Literatur bei aktuellen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen spielt.
In der zweiten Jahreshälfte werden wir uns einer neuen Facette der politischen Relevanz von Literatur zuwenden und somit neue Diskussionsräume eröffnen. Zum einen mit einer Konferenz, die gemeinsam mit Autor/-innen und Wissenschaftler/-innen und sammelnden Einrichtungen das Konzept eines Literaturasylrechts aufgreifen möchte und sich mit den Herausforderungen befasst, vor denen politisch verfolgte Autor/-innen stehen, denen in Deutschland (und anderswo) Asyl gewährt wird; und zum anderen mit dem Auftakt zu einer Konferenzreihe mit Partnern in Berlin, die sich mit der vergangenen und gegenwärtigen Rolle von Wissenschaft und Forschung in Aktivismus aller Art, politisch, sozial und umweltpolitisch, befasst.
Kontakt
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Referat Forschung
Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach
Telefon +49 (0) 7144 / 848-175
Telefax +49 (0) 7144 / 848-191
E-Mail forschung@dla-marbach.de