
Siegfried Unseld, der Verleger
Ein Porträt in Briefen
14. Juli bis 8. September 2024
»Es wäre jetzt schöner, säßen wir uns gegenüber, mit oder ohne Wein, lieber mit.« Siegfried Unseld an Max Frisch, 9. Februar 1966
»Dein Brief warf keine Probleme, nur Überlegungen auf. Es geht auch für Dich nicht um die Gefahr eines neuen Abenteuers.
Du brauchst einen Verlag …«
Siegfried Unseld an Ingeborg Bachmann, 30. März 1967
Als Student entdeckte Siegfried Unseld (1924–2002) Briefe für sich als wichtige Arbeits- und Lebensform. In ihnen ordnete er seine Gedanken. Sie begleiteten und festigten Freundschaften. Nicht zuletzt halfen sie ihm immer wieder auf seiner beispiellosen Karriere. Wichtige Förderer wie Hermann Hesse oder Peter Suhrkamp lernten ihn in der Nachkriegszeit zunächst schriftlich kennen. Auch später, als das Reisen und Telefonieren selbstverständlich wurde, legte der berühmt gewordene Verleger größten Wert auf seine Korrespondenz.
Siegfried Unseld wurde nach einer Lehre in Ulm und einem Studium in Tübingen zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des europäischen Literaturbetriebs. Seit 1952 arbeitete er im Suhrkamp Verlag, den er von 1959 an – nach dem Tod des Gründers Peter Suhrkamp – zu einem mittelständischen Unternehmen ausbaute. Unter Unselds Leitung wurde der Suhrkamp Verlag nicht nur ökonomisch erfolgreich, sondern vor allem auch eine intellektuelle Größe: das vielleicht wichtigste literarische Zentrum der Bonner Republik.
Unseld hat früher als die meisten seiner Kollegen auf wichtige intellektuelle Strömungen, Moden und ökonomische Entwicklungen reagiert und entwickelte den Suhrkamp Verlag zu einem Ort literarischer, politischer und wissenschaftlicher Debatten: Suhrkamp machte die Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule populär und die Stimmen verfolgter jüdischer Autoren, etwa von Walter Benjamin, Ernst Bloch und Nelly Sachs, wieder hörbar. Suhrkamp lenkte den Blick auf die Literaturen Lateinamerikas und Osteuropas. Suhrkamp prägte mit seinem wissenschaftlichen Programm den akademischen Unterricht ebenso wie die studentischen Diskussionen um 1968 und danach. Unseld verstand es, ein enormes Themenspektrum abzudecken und unterschiedlichste Strömungen und Tendenzen unter dem Dach seines Verlags nebeneinanderzustellen und zur legendären ›suhrkamp culture‹ (George Steiner) zusammenzuführen.
Seit 2010 wird im Deutschen Literaturarchiv das Siegfried Unseld Archiv (SUA) erschlossen und erforscht. Es umfasst die Archive des Suhrkamp Verlags, des Insel Verlags (1963 von Unseld übernommen), des Jüdischen Verlags sowie des Deutschen Klassiker Verlags. Hinzu kommen die persönlichen Nachlässe der Verleger. Mit über 11.000 Archivkästen gehört das SUA zu den umfangreichsten und bedeutendsten Beständen zur Literatur des 20. Jahrhunderts. Maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert konnten bis Ende 2023 etwa 132.000 Dokumente und Konvolute aus dem SUA erfasst, beschrieben und ausleihbar gemacht werden. Vollständig erschlossen aber sind die Bestände damit noch lange nicht.
Zwischen 2010 bis 2014 wurden Fundstücke aus dem SUA in der Ausstellungsreihe ›Suhrkamp-Insel‹ im Literaturmuseum der Moderne präsentiert. Die Ausstellung ›100 Briefe. Siegfried Unseld und der Suhrkamp Verlag‹ rückt zehn Jahre später das beispiellose intellektuelle und künstlerische Netzwerk des legendären Verlegers ins Zentrum. Gezeigt werden der Schreibtisch aus seiner Frankfurter Villa, an dem viele seiner Briefe entstanden, die von ihm akribisch gepflegte Produktionsbibliothek des Verlags und vor allem aufsehenerregende Korrespondenzen mit Kolleginnen und Kollegen, Freunden und Bekannten wie Ingeborg Bachmann, Djuna Barnes, Samuel Beckett, Ignatz Bubis, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Hermann Hesse, Henry Kissinger, Cees Nooteboom, Helmut und Loki Schmidt und Peter Suhrkamp.
Für die Ausstellung zu Unselds 100. Geburtstag wurden 100 seiner weit über 50.000 Briefe ausgewählt. In ihnen spiegeln sich nicht nur Unselds Karriere, seine Ideen, sein kaufmännisches Geschick und seine verlegerischen Ziele, sondern auch die Literatur- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik bis zu seinem Tod 2002.
Die Ausstellung wird in Teilen ab Herbst 2024 (Eröffnung der Ausstellung ist am 26.9.2024) im Holzhausenschlösschen in Frankfurt a.M. zu sehen sein. https://www.frankfurter-buergerstiftung.de/programm/ausstellungen/siegfried-unseld-der-verleger-ein-portraet-in-briefen
Korrespondierend zur Ausstellung erscheint im Suhrkamp Verlag die Edition Siegfried Unseld: Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947–2002 (hrsg. von Ulrike Anders und Jan Bürger, 300 Seiten, Erscheinungstermin: 23.09.2024) und im Verlag C.H. Beck das Themenheft Unternehmen Unseld der Zeitschrift für Ideengeschichte mit Beiträgen u.a. von Mara Delius, Durs Grünbein, Ina Hartwig, Florian Illies, Michael Krüger (20 €).
Förderer: Ernst Max von Grunelius-Stiftung, Adolf Christ Stiftung, Freundes- und Förderkreis der Frankfurter Bürgerstiftung.
Kontakt
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Abt. Museum
Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach
Telefon +49 (0) 7144 / 848-601
E-Mail museum@dla-marbach.de