Mein Jahr mit Stadelmaier
Der Mann mit dem Speer
Von Gerhard Stadelmaier, 5. Februar 2016
Dröhnendes Gelächter in einer Theaterpause, es ist schon länger her. Der Kollege Hellmuth Karasek (leider letztes Jahr verstorben) füllte damals die Münchner Maximilianstraße vor den Kammerspielen mit seinem Gelächter im herb rasselnden Basso profundo satirico: »Und immer in diesen ollen ›Hamlet‹-Aufführungen sieht man gleich, wenn der Vorhang aufgeht, den Mann mit dem Speer, der ›Wer da?‹ fragt. Man kann den Kerl nicht mehr sehen!« Es ist, wie gesagt, schon länger her. Der Mann mit dem Speer ist zu Karaseks historischer Beruhigung längst verschwunden. Er trägt höchstens Handy. Und Jeans. Gerne auch eine Maschinenpistole. Auch der Gott Wotan, der sich gleich zu Beginn des »Rheingolds« auf einen Speer schlafend stützt, den er aus dem Holz der Weltesche geschnitzt hat, worauf ihn seine Ehezicke Fricka mit »Wotan, Gemahl, erwache!« aus dem Dämmer scheucht, ist längst zur obligaten Aktentasche übergegangen. Die er in seiner kleinen Einbauwohnküche, kurz vor Walhall gelegen, verstaut. Die Waffen der Männer mit dem Speer sind in der Requisite verschwunden und verstauben dort. Diese martialischen Stoß- und Wurfwerkzeuge haben auf der Bühne keine Chance mehr. Schon ihre schiere Übergröße hindert ihr Vorkommen im Verkleinerungstheater. Denn sie machen ihre Träger mit groß. Man konnte die Kerle, da hat Karasek ganz recht behalten, nicht mehr sehen. So lange nicht mehr, dass man jetzt finden könnte, ein Wotan mit Speer statt mit Aktentasche wäre: mal wieder was Neues.
Die nächste Kolumne in dieser Reihe erscheint am 19. Februar 2016.