Mein Jahr mit Stadelmaier
Don Giovanni fährt Taxi
Von Gerhard Stadelmaier, 10. Juni 2016
Er singt keine Arien. Er spricht unaufhörlich Rezitative. Eigentlich sind es Beichtgeheimnisse. Eines kalkulierenden Erotikers. Deren Offenlegung er sehr genießt. Er sitzt am Steuer eines mit schon arg verschlissenem Leder gepolsterten Citroën C 5, der als Taxi dient, trägt eine Nickelbrille unterm schon leicht angegrauten schütter lockigen Haar eines Anfangvierzigers. Eine Hand am Lenkrad, die andere die Luft durchwirbelnd. Als wolle er mit ihr alle Frauen noch einmal einfangen, die er schon hatte. Denn er beginnt sofort und ungefragt als sein eigener Leporello mit einer Art Register-Rezitativ: »Und in Baden-Württemberg tausendunddrei . . . und was die kosten!« Denn er ist offenbar von Beruf Chauffeur, von Berufung aber Frauenliebhaber – und vor allem Frauenberechner. Freimütig erzählt er, dass er sämtliches »gutes Geld«, das er verdiene, in Frauen stecke. In die reine Liebe. Weil er nämlich eine Frau für eine oder zwei Wochen kaufe (»Sie glauben ja gar nicht, wie viele sich kaufen lassen! Und ich rede nicht von Gewerbsmäßigen, Nutten kommen nicht in Frage!«), könne er sich ganz auf sie konzentrieren. Ohne Gefühlszinsen entrichten zu müssen. Derart liebe er absolut kostengünstig. Und die Frauen hätten ja auch hundertprozentig was von ihm. Er sei ganz für sie da. Dabei betrachtet er sich profitlich lächelnd im Rückspiegel, der ihm den reinen Wohltäter zeigt: ein Don Giovianni der sozialen Körpermarktwirtschaft. Eine Höllenfahrt kann er sich nicht vorstellen.
Die nächste Kolumne in dieser Reihe erscheint am 24. Juni 2016.