Mein Jahr mit Stadelmaier

Macbeths Tankstelle
Von Gerhard Stadelmaier, 1. April 2016
Dort, wo einst die Zapfsäulen standen, sieht man nur noch ein paar schrundige Flecken. Durch die leeren Fensteröffnungen des kleinen Verkaufspavillons wirbeln im Frühlingswind ein paar Fetzen Papier. Die Halle der Autowaschanlage liegt da als eine leergeräumte Höhle, in der sich der Lärm von der nahen Autobahn als seltsame Grottenmusik verfängt. Man wollte hier eine Tankstelle zum Verschwinden bringen. Was nicht ganz gelang. Denn sie war ein mythischer Ort. Im Pavillon nämlich walteten: drei Hexen. Morgens kamen sie. Abends gingen sie. Dazwischen tranken sie Bier. Und rauchten. Und verzapften Sprüche. Alles wie in einem steten Schluck- und Lungenzug- und Sprachdauerlauf. Die Hexen hießen Egon, Emil und Erwin. Ihr König war Erich, Herr des Pavillons und der Zapfsäulen. Egon schielte, sah aber alles kommen. Erwin brabbelte stets vor sich hin und warf den rechten Arm empor, als redete er zu den Engeln in den Lüften, die er wohl überm Regal mit den Öldosen vermutete. Emil stand oft mit benässter Hose da. Was seiner Erhabenheit keinen Abbruch tat. In einer rauschhaften Stunde hatten sie König Erich prophezeit, er werde Besitzer eines großen Autohauses. Um das wahr zu machen, hätte er zu große Verbrechen begehen müssen. So war er ein kleiner Tankstellenpächter geblieben. Seine Lady führte hie und da den Kampfhund Ewald, der nachts die Tankstelle bewachte, an den drei Hexen vorbei hinaus ins Freie. Leise knurrend spürte er nur die Tragödie in all dem. Und jetzt geht der Wind drüber.
Die nächste Kolumne in dieser Reihe erscheint am 15. April 2016.