Mein Jahr mit Stadelmaier
Unter Wandmenschen
Von Gerhard Stadelmaier, 22. Juli 2016
Wenn irgendwann, sagen wir in dreitausend Jahren Ärchäologen die Erdschicht so ums Jahr 2000 n. Chr. herum freilegen, werden sie einen Typus Planetenbewohner staunend identifizieren, den sie wohl als den »Wandmenschen« klassifizieren mögen. Denn keine der dann ausgegrabenen Wände, stammten sie von den seltsamen Häusern, in denen die Erdbewohner damals lebten, oder von Tunneln, durch die sie sich offenbar, in großen, eisernen Behältnissen eingepfercht, bewegt haben müssen, sind vom »Wandmenschen«-Typus unsigniert geblieben, das heißt: mit wilden Kringeln, großflächig ausgemalten Zeichen, Zacken und Hieroglyphen, kurz: mit wild entfesseltem Runen-Geschmier förmlich unterschrieben worden. Als habe sie jedwede Wand zu zwanghaftem Bemalen getrieben. Die solcherart Endesunterfertigten wollten, so die Theorie der Archäologen im Jahr 5016, wohl ihr Privatestes, das, was ihnen, so eines der literarisch beglaubtigen Zitate aus jener Zeit, »durch die Rübe rauschte«, der Öffentlichkeit aufsprühen. Ohne freilich auf Verständigung mit einem größeren Adressatenkreis rechnen zu können – es sei denn mit einem eingeweihten, in engen, schamanenartigen Kreisen verkehrenden. Es müsse sich um eine Art primitives Stammesritual gehandelt haben. Wiewohl der große gesellschaftliche Rest damit verständnislos belästigt worden sei. Man könne aber wohl annehmen, dass die Gesellschaft ums Jahr 2000 sich einfach an die wandflächendeckende Diktatur der Zeichen genauso gewöhnt habe wie an jeden anderen Terror auch.
Die nächste Kolumne in dieser Reihe erscheint am 5. August 2016.