Wiedersehen mit Stadelmaier

Die Abgefahrenen
Von Gerhard Stadelmaier, 19. Januar 2018
In einer Pariser Brasserie. Lauter strahlende, wiewohl trotz aller Erleichterung etwas überanstrengt wirkende Abschlussgeprüfte in ihren mittzwanziger Jahren und besten Anzügen beziehungsweise Kostümen. Die blass-energischen jungen Damen: verziert mit kleinen Blumensträußchen, die sie kokett in den Armbeugen plaziert haben und auf die sie herablächeln mit dem Bewusstsein, ein Dekor gar nicht nötig zu haben. Die blass-erschöpften jungen Herren: garniert mit dem Angststolz, mit dem sie in eine Zukunft blinzeln, vor der sie nun nichts mehr rettet. Allgemeines gegenseitiges Schulterklopfen. Nur einer mittendrin im Frohsinnslärm als Außentuer. Bärtig bohèmehaft, leicht verschlampt. Womöglich einst der Tollste, der Begabteste unter ihnen. Dann aber ausgestoßen oder ausgestiegen. So aber, wie er das Glas hält, sich den Bart streichelt, hält er den Durchgekommenen sein beleidigtes Ego der Eigentlichkeit entgegen: Ich bin der wahre Jakob, auch wenn mich euer Karrierelauf auf dem falschen Fuß erwischt hat! Dabei hat er wohl nur ein paar wichtige Anschlüsse verpasst. Er kriegt zwar noch wie nebenbei ein paar Freundlichkeitsbrotsamen vom Tisch der Reüssierten hingewischt. Aber die Abgefahrenen nehmen auf ihn keine Rücksicht, höchstens dass sie ihm einen kurzen Blick gönnen, den sie in den Rückspiegel werfen bei ihrer Weiterkommensfahrt. Im Rückspiegel wird sein Bild immer kleiner. Wobei er sich unverändert groß vorkommt: im Spiegel seines Jetzt-Ichs, leicht nur benetzt mit Tränennebel.