Wiedersehen mit Stadelmaier

Französischer Freund, deutsches Theater
Von Gerhard Stadelmaier, 16. Februar 2018
Er spricht eleganter, fehlerfreier Deutsch als die meisten Deutschen. Deren Land er sehr liebt. Nur an seinem weich fließenden, gaumenmusikalischen Akzent hört man, dass er Franzose ist. Gebürtig aus Marseille. Germanist. Hat eine Professur in Straßburg. Und bekennt, dass er sich seit langem mal wieder in ein deutsches Theater gewagt habe, erst in München, dann in Berlin. Er habe dort aber die Häuser mit Ohrenschmerzen wieder verlassen. Ob ich ihm sagen könne, warum die deutschen Schauspieler alle so laut seien? Warum sie über Stunden hinweg brüllten? Schrien? Tobten? Warum sie wie in Raserei immer wie am Rand des Wahnsinns entlang taumelten? Und warum sie kaum zu verstehen seien? Sie die Sprache zerkrachten und zermatschten? Sie offenbar als die größte, die hässlichste Störung ihrer spielerischen Selbstverwirklichung betrachteten und sie anscheinend sehr hassten? Und ob es mir schon einmal aufgefallen sei, wie übergenau, wie sorgfältig und ehrfürchtig, wie betont und artikuliert und beherrscht selbst noch in brutalen Szenen die französischen Schauspieler mit ihrer Sprache umgingen? Das komme wohl daher, entgegnete ich ihm, dass die deutschen Schauspieler und ihre Regisseure eine derartige Riesenangst vor allem Großen, Erhabenen, Schönen, Poetischen hätten, dass sie es, im Grund davor zitternd wie kleine Kinder, als böse Geister durch ihren Irrsinnsschreilärm vertreiben möchten. Während es für Franzosen eben nichts Schöneres als das Schöne gebe. Darauf hat er nur gelächelt.