Wiedersehen mit Stadelmaier
Genossen der Fingerzeit
Von Gerhard Stadelmaier, 16. März 2018
Man stelle sich vor, wie die vielen, jetzt noch ganz jungen Leute einmal ausschauen, wenn sie im wie auch immer galaktischen Alters- oder Pflegeheim gelandet sein werden – natürlich erst nach langer, langer Zeit. Wie werden sie dann in den Aufenthaltsräumen zur Essensausgabe herumsitzen? Oder überhaupt den lieben, langen Tag in den Fluren? Gegenwärtig sehen ja die mehr oder weniger dementen oder anders gebrechlichen Insassen solcher Institute, die alle in den frühen fünfziger Jahren ihre Weltneugier mit neuen Seh-Apparaten zu befriedigen lernten, so aus, als sähen sie selbst dann, wenn es nichts zu sehen gibt, fern. Kollektiv versunken, wiewohl gemeinsam einsam: Kinder des Fernsehzeitalters. Genossen einer Glotzzeit, die von bewegten Bildern von früh bis spät erfüllt war wie keine andere Zeit vor ihr. Dementsprechend haben sie ihr Bildergedächtnis verloren. Man sieht es ihren leeren Augen an, mit denen sie nur noch zusammenhangloses Geflimmer wahrnehmen. In achtzig Jahren wird man wohl die Genossen einer ehemals Fingerzeit erleben können, geriatrische Gespenster, die unaufhörlich wie in Trance vor sich hin auf I-Phone- oder I-Pad-Glasscheiben tippen, mit denen sie massenhaft aufgewachsen sind. Aber die Apparate, deren Befehlen sie ein Leben lang von morgens bis abends blind gehorchten, werden den Fingern nicht mehr folgen. Denn diese unglücklichen Alten werden dann halt ihr Fingergedächtnis verloren haben. Man wird es ihren leeren Händen ansehen, denen der Halt fehlt.