Wiedersehen mit Stadelmaier

Hängt euch mal zum Hals heraus!
Von Gerhard Stadelmaier, 21. September 2018
Er hatte über das, was er zu sagen hatte (und das war vornehmlich übers Theater), etliche große Bücher geschrieben, war oft interviewt worden, hielt Vorlesungen, hatte einen Lehrstuhl inne, bekleidete Wichtigkeitsämter wie zum Beispiel das einen Feuilletonchefs, war der bedeutendste und gelehrteste Theaterkritiker der jungen adenauerdemokratischen Bundesrepublik (nachdem er zuvor zu Nazizeiten es sogar bis in die Chefdramaturgen-Etage des Wiener Burgtheaters geschafft hatte – so verwirrend waren damals die Opportunitätslebensläufe). Und machte die damals höchstrenommierte und höchstmögende »Stuttgarter Zeitung« (kein Vergleich zu heute!) zu einem Kulturhaupt-Blatt des westlichen Teils der Nation. Und dann, als er längst im Ruhestand war, klingelte bei Siegfried Melchinger in seinem Schwarzwald-Refugium das Telefon. Ein junger Kollege wollte ein Statement von ihm zu irgendeiner gerade laufenden Theaterkrise. »Ach, wissen Sie was,« replizierte der große Alte, »lassen Sie mich in Ruhe! Ich hänge mir schon lange zum Halse heraus!« Was für ein Satz. Wie gerne würde man Derartiges von den Verlautbarern aus Politik, Gesellschaft und vor allem aus der Kultur hören: Wenn sie sich plötzlich als Helden der Selbstmüdigkeit zu erkennen gäben, die sie sich redlich durch unaufhörliches Statementsgeschwätz längst verdient hätten im Fegefeuer der Repetitionen. Sie könnten Zuflucht finden im Himmel des Maulhaltens. Aber dann wartet schon wieder das nächste Mikrophon. Die Hölle.