»Der ganze Prozess« (7. November 2013 bis 9. Februar 2014)
»Kafkas Prozess, dessen gegen alle Wahrscheinlichkeit noch existierendes Manuskript gerade in einer grandiosen Ausstellung in Marbach gezeigt wird.« Frankfurter Allgemeine Zeitung (Frank Schirrmacher)
»Franz Kafkas enigmatischer Roman «Der Prozess» (1914/1915) ist so etwas wie der heilige Gral der literarischen Moderne. 100 Jahre nach ihrer Entstehung ist in Marbach erstmals die ganze Handschrift zu sehen. Ein bewegendes Ereignis ... Die Arbeit [am Roman] begann schwungvoll und selbstbewusst, was sich am lockeren und mitunter fast übermütigen Duktus der Handschrift ablesen lässt – und bleibt doch ein Wechselbad der Gefühle zwischen Bangen und Hoffen, Ringen und Zweifeln. Während weit draussen der Krieg tobt, kämpft Kafka vor der Bühne seines «traumhaften inneren Lebens» den eigenen Kampf gegen die Leere und Sinnlosigkeit seiner Junggesellen-Existenz. ... Wer glauben will und es nicht kann, pilgere dieser Tage nach Marbach – selten ist ein Wunder so sichtbar geworden wie dieses hier.« Neue Zürcher Zeitung (Andreas Breitenstein)
»Was Heike Gfrereis in der aktuellen Marbacher Ausstellung – für die der Ausdruck Inszenierung angebrachter wäre – eröffnet, ist ein neuer Zugang zu einem der am meisten gedeuteten (und daher scheinbar auch ausgedeuteten) Texte des 20. Jahrhunderts. Und das nicht nur oder auch nur vor allem, weil die Kuratorin erstmals das ganze Manuskript – also alle 161 Blätter – neben- statt aufeinander gelegt ausstellt, also die gesamte Handschrift Blatt für Blatt zur Besichtigung freigibt. Sondern indem sie das tut, nimmt Heike Gfrereis den Kafka-Leser mit in Kafkas nächtliche Schreibstube, führt ihm das komplexbeladene Prager Jahrhundertgenie, das sein ganzes Leben in Literatur verwandelte, bis nichts mehr von ihm übrig blieb außer Literatur, bei der Arbeit vor – und hält das Manuskript dadurch so in der Schwebe wie Kafka den Schreibprozess. Wie Gfrereis dabei vorgeht, ist überaus einleuchtend – und eigentlich verblüffend einfach. Bekanntlich hat Kafka zwar dauernd, aber eben nicht am Stück geschrieben. Fragmente des Prozess-Manuskripts notierte er in insgesamt zehn verschiedenen und parallel geführten Quartheften, bei denen es sich teilweise um Tagebücher handelte, teilweise um Arbeitshefte, in denen er sich vor allem mit anderen literarischen Versuchen beschäftigte. So finden sich Bruchstücke des Prozess-Romans neben solchen aus Das Schloss oder Der Dorfschullehrer, sich so mit diesen anderen Texten verschwisternd und von ihnen abstoßend – an ihnen allen arbeitete Kafka sozusagen auf einmal. ... Als er die Arbeit am „Prozess“ nach wenigen Monaten Anfang 1915 endgültig aufgab, löste Kafka die Blätter aus ihrem ursprünglichen Arbeitszusammenhang, fasste sie mit Hilfe von Umschlägen und Deckblättern zu 16 Konvoluten zusammen, denen er kurze Titel gab, und die Max Brod dann 1925 – in der ihm richtig scheinenden Reihenfolge, für die es in den Quartheften kaum Anhaltspunkte gegeben hätte – zu den Kapiteln des von ihm herausgegebenen Romans machte. Dieses Vorgehen des Freundes ... ist, seit das Manuskript der Forschung zugänglich ist, umstritten. ... Die Marbacher Ausstellung ermöglicht es Kafka-Liebhabern jetzt, sich ihren eigenen Prozess zusammenzubasteln. Denn Heike Gfrereis löst die bekannten Lesefassungen auf, indem sie die Blätter wieder in den von Malcolm Paisley rekonstruierten Arbeitszusammenhang der ursprünglichen Quarthefte einsortiert und diese dann, so gut wie unkommentiert, in Vitrinen verpackt. Das ist, wie gesagt, eine verblüffend einfache und doch fabelhafte Idee. ... Wer Kafka so bei der Arbeit sieht, staunt umso mehr über die Präzision seiner Texte – und wundert sich nicht, dass der Autor sie bei aller Disziplin und bei allem Witz zuletzt nicht mehr beherrschen kann. ... Allein lässt diese großartige, wenn auch Zeit, Geduld und einige mitgebrachte Kafka-Kenntnis erfordernde Ausstellung den Besucher mit solchen Gedanken nicht: Im begleitenden Marbacher Magazin schlagen 33 Künstler und Kenner – von Louis Begley über Saul Friedlander und Anselm Kiefer bis hin zu Péter Esterházy – ihre Lieblingsseite des Prozess-Manuskripts auf. Die besten dieser kleinen Stücke zu Kafka zeigen auf sehr persönliche Weise die ganze Größe dieser so ›verzettelt‹ entstandenen Literatur.« Ludwigsburger Kreiszeitung (Steffen Pross)
»Franz Kafka hat den Process nicht wirklich wie einen Roman konzipiert, und wahrscheinlich hat Kafka auch nie wie ein Schriftsteller gearbeitet. Das Schreiben war ihm Existenzform, er wohnte im Schreiben - und das ist etwas ganz anderes als die uns bekannten strategiegesteuerten Formen literarischer Produktion. Auf solche Gedanken kommt man unschwer, wenn man die jetzt im Marbacher Literaturmuseum der Moderne ausgestellte vollständige Handschrift von Kafkas Process betrachtet. Das Manuskript ist auf mehrere Quarthefte verteilt, in denen Kafka freilich auch noch ganz anderes notiert hat ... Bei allen möglichen Anordnungen, die man mit Kafkas Kapiteln vornehmen kann, wird in dieser Ausstellung eines klar: Alles existiert nebeneinander. Dieser Roman hat keine Dramaturgie - und wahrscheinlich hat auch die Moderne keine. Und vielleicht ist genau das ihr Drama.« Deutschlandfunk (Christian Gampert)
»So bietet diese Ausstellung mehr als nur eine übliche Präsentation eines - zugegeben sehr wertvollen - Manuskripts. Sie erlaubt Einblicke in die Werkstatt des Schriftstellers, weit mehr, als dies bei anderen Autoren möglich wäre. Die haben zwar auch ausgestrichen, neugeschrieben, den Text sogar mit Zeichnungen versehen, aber Kafkas chaotische Art, Texte zu schreiben, entspricht ganz der Welt, die er in diesen Texten entwirft - eine Welt voller Labyrinthe.« SWR2 (Rainer Zerbst)
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